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Menschlicher „Horizont“ ohne Weitblick?

Die Diskussion des „kleinen Unterschieds“ in der gesangs-kulturellen Entwicklung

Fachliche Kompetenz, Qualifikation und Weitblick wächst aus bewusstem Einsatz und eigener Initiative.
Wieviel Kenntnis und Werte-Maßstab benötige ich für eine gesunde Einschätzungsfähigkeit, die Nutzen bringen kann? Der Fachmann „weiß, dass er nichts weiß“,  je mehr er weiß.
Bei dem kleinen Wortspiel wird klar ..:
Erst beim vertieften Studieren wird bewusst, wie umfassend ein Wissensschatz sein muss, um verantwortliches Handeln und Einschätzung zu garantieren. Die eigene Erfahrung wird immer ein sehr begrenzter Ausschnitt des umfassenden Ganzen bleiben.

Je unflexibler, desto starrer und kleiner der Ausschnitt des eigenen Blickwinkels, desto unmöglicher wird die Erfassung der Weite des Horizonts. Man wird sich mit der Ausschließlichkeit der „kleinen Erfahrung“ eines geringen, variablen Erlebens entwicklungsbegrenzt abfinden müssen und erkennen, dass die Erfassung in einer angemessenen Relation der Verhältnisse einen großen Überblick benötigt. Und nur der Überblick des „Ganzen“ wird die Erkenntnis einer angemessenen Relativierung ergeben.
Allein zur Relativierung des Selbst und des eigenen Leistungsstandes ist es sinnvoll, sich aufzumachen, um die kostbare Lebenszeit zur Erfahrungs- und Kenntnis-Erweiterung des „eigenen Kosmos“ sinnvoll zu nutzen.
Letztlich entsprechen wir alle der Summe unserer Prägung und Erfahrungen innerhalb der individuellen Struktur, d. h. dem Entwicklungsergebnis individueller Voraussetzungen der angelegten sowie erworbenen Fähigkeiten, der Summe äußerer Einflüsse, Erfahrungen und ihrer Verarbeitung – in einem individuellen Reifestand.

Was nun die Einschätzung von Gesang, Stimmkunst und Sängern betrifft, wuchsen Kenntnisse, Einstellung und Fähigkeit mit der Reife des Lebensabschnitts und mit der intensiven Auseinandersetzung in der Sache – in Studium und Beruf … je nach Lebenserfahrung, Reifung, Bildungs- und Leistungsstufe – in Schule, Hochschule und Früh-Engagement – nach neuen Aufbau-Studien und Erkenntnissen, je nach Erfahrungswelt und Erfahrungswert, ob zu Berufsbeginn oder nach 40 Jahren professioneller Erfahrung.
Der Blickwinkel auf das Fachliche des Gesangs veränderte sich mit jedem Stadium, der Bewertungs-Maßstab mit jeder neuen Erkenntnis – durch Reifung und inneres Wachstum.
Mit Abschluss des Gesangstudiums entstand ein bis dahin erfahrener, fachlicher Lehr-Maßstab, ein Studienabschluss mit ersten „Stipp-Visiten“ kleiner Engagements in der Berufs-Praxis, bevor der eigentliche berufliche Weg des Profi-Sängers begann.

Deutsche Tenöre wie Tauber, Wunderlich und Schock, waren fachlich im Studium ebenso bekannt wie die großen deutschen Baritone Fischer-Dieskau und Hermann Prey.
Sie waren die „Großen“ Sängerkapazitäten und Profi-Ideale – Ihr Gesang fachlich, d.h. gesangtechnisch und interpretatorisch tief beeindruckend und stimmlich wunderschön.
Man studierte sie in der unerfahrenen Annahme, diese beeindruckenden Sänger meisterten mit ihren tollen Sänger-Fähigkeiten jedwedes Opern- und Gesangs-Repertoire mit gleicher qualitativer Präsenz.
Im heutigen Rückblick erwarb der Studierende Kenntnisse über Stilistik und Interpretation, über Sänger und ihre Vorzüge, in der gesangs-kulturellen Maßstäblichkeit hiesiger Stimmauffassung.

Tatsächlich haben die erwähnten Sänger auch italienische Oper gesungen und wurden auch mit dem Begriff Belcanto in Verbindung gebracht. Jedoch fehlte in der Lehre die fachliche Klärung, was der Begriff Belcanto inhaltlich eigentlich bedeutet bzw. beschreibend repräsentieren sollte. Auf der Ebene dieser fachlich-nebulösen Lehrmeinung erschienen zur gleichen Zeit meinungsbildende Veröffentlichungen und Nachschlagewerke sogenannter Belcanto- und Sänger-Experten, die mit einem Journalistenstatus ohne jegliches Detailwissen Preise für die Autorenschaft der Belcanto-Thematik und Sängerbewertung erhielten – ohne jegliche differenzierte und verifizierte Kenntnis sängerischer Stimmausbildung und ohne jegliche Grundlage einer gesangs-professionellen Fach- und Sachkompetenz.

Interpretation italienischen Repertoires stand im Zusammenhang mit der sogenannten Italianità, einer Melange u.a. bestehend aus musikalischem Temperament, mitreißender Emotionalität im Spiegel „süffiger“ Stimmgebung und metallischen Klangfeuers. Das alles war damals zwar überzeugend, hatte jedoch im Vergleich zum Original einer Belcanto-Stilistik, wie ich sie später im privaten Studium en detail und vor Ort erlernen durfte, nichts gemein.

Das Vermittelte war offenbar eine Annahme im guten Sinn, die willkürliche Interpretation eines Hörergebnisses, das subjektive Auslegung erfuhr – das Ergebnis deutscher Stimmschule oder einer vereinheitlichten, Hochschul-konformen Auffassung der Lehrmeinung. Es fehlten die Erfahrungsmaßstäbe gegenüber der italienischen Gesangstechnik in Didaktik und Umsetzung – trotz bereitstehender Literatur in der Hochschul-Bibliothek.
Die Vielschichtigkeit des Unterschiedes zwischen deutscher und italienischer Sichtweise im Blick auf Stimme und Interpretation des italienischen Opern-Repertoires war aus der Sicht deutscher Stimmschule weder fassbar noch erreichbar.

Mein Interesse und Forschergeist überdauerten Jahrzehnte der Recherchen, denn die individuellen Klangergebnisse dieser bewunderten, großen Sänger unterschieden sich drastisch, ohne auch nur zu ahnen warum.
In der Rezeption der italienischen Oper mit italienischen und nicht-italienischen Interpreten unterschied sich der hör-qualitative Vergleich ihrer Stimm-, Interpretations- und Gesangs-Ergebnisse derart, dass sich der „Vergleichs-Wettbewerb“ der überzeugenderen Interpreten Italienischer Oper eindeutig zugunsten der italienischen „Belcanto-Liga“ entschied.

Gründe für den qualitativen Unterschied der Interpretations- und Klangergebnisse waren damals trotz intensiver Recherche und Lehransätzen im Opernstudium nicht „fassbar“ – ohne klar beschriebene Definitionen oder Anleitungen von Ausführungsmodi, die zu dem besseren Ergebnis einer authentischen Belcanto-Interpretation hätten führen können.
Die Kenntnis stimm-technischer Unterschiede konnte man nur erlernen. Es blieb der erfahrbare Nachvollzug, das Erlernen der Umsetzungs-Vielfalt eines externen Erfahrungswissens italienischer Schule, die sich kompetent bot – z.B. bei einem italienischen Bariton mit internationaler Bühnenerfahrung in Paris.
Zu den Vertretern italienischer Gesangschule zählte auch Professore Ettore Campogagliani, Belcanto-Lehrerkapazität aus Padova – der sich einen Namen durch die Ausbildung der beiden erfolgreichen Sänger Luciano Pavarotti und Mirella Freni machte – brachten mehr Klarheit auf meine Fragen.
Die Gesangstechnik, das Heranführen, das Klangergebnis, die qualitativen Eigenschaften für Tonempfinden sängerischer Umsetzung, unterschieden sich deutlich von meinen vorangegangenen Erfahrungen im Studium.

Nun war es Tatsache: die wesentlichen Unterschiede im Modus stimmlicher Entwicklung eines Opernsängers führten zwangsläufig entsprechend Ausbildung und fachlichem Einfluss zu anderen Gesangs-Ergebnissen – ob in Überzeugungen und Werten, Stimm- und Klangeigenschaften, Umsetzungsverhalten und Interpretationsweisen, stimmlichen und darstellerischen Ergebnissen oder in den Tätigkeitsschwerpunkten.
Entsprechend weiterer umfangreicher, wissensvertiefender Belcanto-Aufbaustudien bei entsprechenden Lehrerkapazitäten seit 1992 wurde es eindeutig und klar:
Die jeweilige Ausbildungsweise bestimmt den Ausführungsmodus des Sängers im Bezug auf sein Repertoire-Ziel.

Betreffs der Lehrmeinung in den Studienzeiten der 70er und 80er Jahre – eine einmal erlernte Stimmtechnik könne jeder Repertoire-Anforderung gerecht werden – ist in Sachen angemessener Ausführung einer Belcanto-Stilistik für das Italienische Opernrepertoire widerlegbar.
Diesbezüglich wurden die oben genannten deutschen Sängerlegenden zunächst im Bezug auf stilistische Ausführung deutschen Opern-Repertoires und Musikgenres ausgebildet, was für die Ausführung des italienischen Opernrepertoires weniger zutrifft.

Das Leben und Berufsleben des Sängers bringt ein Hör-Erleben von Stimmen und Sängern in großer Vielfalt notwendigerweise und zwangsläufig mit sich, was eine fachlich solide Relativierung und sichere Einschätzungsfähigkeit auch hier nur proportional zum Radius vielfältigen Erfahrungswissens möglich macht.
Häufig flach und pauschal eingesetzte „Allerwelts“-Vokabeln des Marketings konnten sich erst mit Kenntnis, Erkenntnis und Reifung fachlicher Erfahrung zu einer real-relativierbaren Begrifflichkeit stimm-qualitativer Authentizität entwickeln.
Die Identifizierung einer „Weltstimme“, die Unterscheidung einer „tollen Stimme“ von einer „Jahrhundert-Stimme“, die es qualitativ nur ganz ganz selten gibt, benötigt das sicher erfahrene Ohr des Kenners für das fachlich Herausragende, Superlative und damit die Voraussetzung aller nuancierten Unterscheidungen.

Schein-Qualitäten des Erfolgs, wie merkantile Bestrebungen von Umsatz, Gewinn und PR-Strategien der Werbung für Popularität und Verkauf sollten klar von fachlichen Bewertungsformen einer künstlerischen Disziplin abgegrenzt werden, damit eine Unterscheidung des qualitativ Wesentlichen konstruktiv eine kulturelle Weiterentwicklung ermöglicht.
Der ständige Einsatz von Superlativen durch Markt, Medien und Werbung wirkt reduzierend in der Sinngebung, abstumpfend für die sensorische Rezeption, aufweichend für die Existenz einer fachlich-seriösen Urteilskraft bzw. hemmend für den Aufbau gesunder Wertmaßstäbe der physischen und stimmlichen Stabilisierung.

Worin liegt die Ursache für die Entstehung unterschiedlicher Auffassungen, Gesangsschulen, vielfältiger stimmtechnischer Überzeugungen und individuell kompetenten Herangehensweisen der Stimmpädagogen?
Antwort: An der musikalisch-gesanglichen Umsetzung, den fachlichen Kapazitäten und Praktikern, ihrer kulturell-musikalischen Herkunft und geschmacklichen Individualität, den unterschiedlichen Schulen und ursprünglichen und persönlichen Überzeugungen u.v.m.

Da immer wieder Positionen einer unerfahrenen, „veralteten“ Sichtweise in den Medien Verbreitung finden, möchte ich als Sänger-Profi und Belcanto-Studierte hier differenzieren und begründen, warum alle drei der genannten deutschen Tenöre mit ihrem außerordentlichen stimm- und sängerischen Legendenstatus, nicht den Eigenschaften eines qualifizierten Belcanto-Interpreten für die Interpretation der italienischen Oper entsprechen konnten: 

1. Der viel zu früh verstorbene Fritz Wunderlich, lyrischer Tenor und unvergessene Weltstimme,

war ein Mozart-Sänger par excellence – ein „Traum-Tamino“ mit einer Stimme und Stimmfarbe, die für das klassische deutsche Lied nicht passender und schöner sein konnte. Musikalisch und stimmlich ein Hochgenuss.
Niemals verließ Wunderlich seine Technik, setzte Repertoire, Tonbildung und Stimmführung sowie den Gesangsstil dieses entsprechenden Repertoires sauber und diszipliniert um.

Aber: Stimmtimbre, Stimmsitz und Stimmfarbe sowie Interpretationsweise entsprechen nicht den Stilismen der Belcanto-Eigenschaften italienischer Gesangsschule und italienischer Oper des 19. und 20. Jahrhunderts.

2. Die größere Stimmanlage des Österreichers Richard Tauber,

einem Zwischenfach-Tenor, ist zweifellos auch eine herrliche Stimme, aber mit anderen Vorzügen. Taubers Stimme erklingt körperlicher und runder, das Timbre warm, weich und schmeichlerisch. Entsprechend der Herangehensweise an seine Stimme wäre ein Mozart-Repertoire für diese Stimme ungünstig gewesen. Dafür lag ihm die Operette, besonders Léhar und die Interpretation des klassischen Liedes ausgezeichnet.
Beim genaueren Hinhören neigte Tauber zur Dramatik, indem er seine Stimme mit Unarten „alter, deutscher Kammersänger-Manierismen“ vergröberte.

Gern demonstrierteTauber „Stimmgewalt“ durch forcierte Töne der Dramatik, in einer „kraft-definierten“ Herangehensweise der Tonbildung, aber nur mit einer vermeintlichen Körperführung und Stütze.
Auf diese Weise existierte kein sauberes Legato in Verbindung mit einem gut durchgestützten Ton, sondern glissando-artiges Toneinschleifen, was nichts mit einer sauberen Tonführung eines Legato im Sinne des Belcanto zu tun hatte.
Seine Stimmfarbe und sein Piano waren zwar legendär, jedoch häufig Falsett-geführt ohne eine gestützte mezza-voce-Qualität, die körpergeführt und auch legato sein sollte.
Tauber sang gern italienisches Repertoire mit weichem Schmelz seiner Stimme, interpretierte aber mit eigenen Stilmitteln harter Stimmansätze, gaumig-vergähntem Stimmeinsatz als stimmfärbenden „Weichmacher“ ohne Stütze, einem aufgeweicht-verwaschenem „Schein-Legato“, und ohne jegliches An- und Abschwellens der Tongebung.

Der Klang seiner Stimme, bedingt durch seinen Stimmsitz, war wiederum verantwortlich für seine ganz „eigenen“ stimmlichen Steuerungsmöglichkeiten, welche die Stilismen des Belcanto der italienischen Oper stimmlich nicht erfüllen ließen.

3. Der hörbare Unterschied zwischen Tauber und Wunderlich:

die physische Grundkonstitution, das Temperament, Stimmklang und Stimmdimension, Unterschiede der Stimmstrategien, die Stimmtechnik, die Herangehensweise an Stimme und Repertoire …
Wunderlich, ein rein lyrischer Tenor, blieb nahezu immer im stimmlichen Ebenmaß einer dauerhaften, „instrumentalen“ Kontrolle – perfekte Eigenschaften eines Mozart-Tenors.

Das Temperament des Zwischenfach-Tenors Tauber dagegen, zeigte sich häufig durch den übertriebenen Einsatz vergrößerter Dramatik, auf Kosten der wichtigen Steuerungsmechanismen stimmlicher Kontrolle, die für den Profi-Sänger von entscheidender Bedeutung sind.

4. Rudolf Schock dagegen, besaß eine kleinere, wunderbar lyrische Tenorstimme

mit absolut sauberen Legato und minimalen „Alt-Kammersänger-Attitüden“.
Sein Stimmtimbre klang rund mit viel Stimm-Kern aber wenig körperreich. Schocks besondere Stärke war sein Legato, das er trotz deutscher Sprache und harter Konsonanten weich und konsequent mit ausreichend gestützter Pianokultur und Stimmfarben einsetzen konnte. Schock verfügte über eine exzellente Stimm- und Körperkontrolle.
Sein Forte verließ häufig die konsequente Führung, d.h. sein Lagenwechsel der Stimme war zwangsläufig an einen Farbwechsel gekoppelt. Ein An-und Abschwellen der Töne ist hörbar.
Sein „mezza voce“ klang aufgrund häufig übertriebener, „grimassierter Breitspannung“ der mimischen Muskulatur unausweichlich weinerlichen bis gequält.
Im Vergleich dieser drei Tenöre waren Schocks Gesangseigenschaften einer erfüllbaren Belcanto-Stilistik für die Interpretation der italienischen Oper des 19. und 20. Jhrdts in Teilbereichen vorhanden. Er servierte das italienische Opernrepertoire in Hinblick auf authentische Interpretation am glaubwürdigsten.

Für den konsequente, authentische Umsetzung eines Belcanto-Sängers fehlte Schock jedoch der körperlich runde Stimmklang und der konsequente Einsatzes wichtigster stimm-technischer Stil-Mittel italienischer Stimmkultur.

Schlusswort:

In 40 Jahren hoch-intensiven, professionellen Umgangs mit der Stimme, einem vielseitigen Weg von Ausbildung, Studium und zahlreichen Zusatzausbildungen, Jahrzehnten der Berufspraxis als Opernsängerin und Vokal-Pädagogin und -therapeutin entwickelte sich eine umfassende Kompetenz für die ganzheitich-funktionale Aufbauarbeit für Stimme, Sprechen und Gesang – insbesondere für die Techniken des Belcanto und Stressbalance.

Die detaillierte Wahrnehmung des Hörens, die Zuordnung feinster, hörbarer Aspekte stimmlicher Umsetzung und physischen Sänger-Verhaltens benötigt ein hoch-differenziertes, feinsinniges Hören und Identifizieren eines seriös aufgebauten Erkenntnisstandes auf der Basis intensiver Langzeit-Studien, sowie Techniken und Maßnahmen erfolgreicher pädagogischer Intervention, was ein breit angelegtes Erfahrungswissen und medizinische Kompetenz zur Prävention voraussetzt.